Koloniale Aufarbeitung an der Uni Göttingen: Offener Brief von Göttingen Postkolonial an Präsident Metin Tolan

Das Bündnis Göttingen Postkolonial hat einen Offenen Brief an den Unipräsidenten verfasst, in dem eine umfassende Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit der Uni gefordert und ein Vorgehen dafür vorgeschlagen wird. Wir freuen uns, den Brief hier auf unserer Website teilen zu können.
Siehe zu diesem Thema auch unsere Pressemitteilung vom 21.09..

———————————————

Sehr geehrter Prof. Tolan,

als neuer Präsident der Universität Göttingen möchten wir Sie willkommen heißen und Ihnen alles Gute für Ihre Präsidentschaft wünschen. Wir sind als Göttingen Postkolonial ein stets offener Zusammenschluss von Initiativen im Raum Göttingen, der sich mit der Aufarbeitung und Thematisierung von kolonialer Vergangenheit, postkolonialer Gegenwart und Visionen einer dekolonialen Zukunft beschäftigen möchte. Ziel ist es, einen verantwortungsbewussten und rassismuskritischen Umgang mit dem kolonialen Erbe vor Ort in Göttingen und der Region zu fördern. Die meisten von uns sind Studierende oder Wissenschaftliche Mitarbeitende der Universität Göttingen, die sich über Studium und Forschung hinaus ehrenamtlich mit kolonialer Aufarbeitung befassen.

Die Universität Göttingen hat durch die Arbeit des Lehrstuhls von Prof. Habermas bereits einen ersten Schritt zur kolonialen Aufarbeitung getan und die ersten Forschungsergebnisse auf der Webseite Göttingen Kolonial sichtbar gemacht.

Wir möchten gerne in Erfahrung bringen, wie Sie mit dem Thema weiter verfahren wollen: Wie wird die Forschung zu Kolonialzeit und kolonialen Kontinuitäten gestärkt? Wie wird mit den Forderungen studentischer Gruppen nach Unterstützung für die Auseinandersetzung zu Themen wie der Namensgebung des Blumenbach-Instituts umgegangen (siehe z.B. Beitrag der Basisgruppe Umweltwissenschaften zur studentisch organisierten Veranstaltung “Wohin mit Blumenbachs Erbe? – Verhandlungen zum Göttinger Umgang mit dem “Vater der Anthropologie”” oder die Forderungen nach einer macht_kritischen Ethnologie! (2018) im Anhang als pdf)? In diesem und im letzten Semester haben Studierende ehrenamtlich ein Seminar zu Rassismus und Kolonialismus in den Umweltwissenschaften organisiert und durchgeführt, da die kritische Auseinandersetzung mit Wissenschaftsgeschichte aus unserer Perspektive essentiell für eine gute wissenschaftliche Arbeit und gesellschaftliche Diskurse heute ist. Wie kann die Universität für diese kolonialismus- und rassismuskritische Auseinandersetzung mit Wissenschaft – auch mit Blick auf die Geschichte der Göttinger Universität im Speziellen – Verantwortung übernehmen und den Austausch dazu stärken?

Wir möchten einige der aktuell in verschiedenen Bereichen formulierten Erwartungen an die Universität benennen und deren Wichtigkeit unterstreichen:
– Verantwortungsübernahme der Institution Universität und seiner Fakultäten und Fachbereiche für eine kritische Aufarbeitung der Kolonialzeit, der Rassismusgeschichte und Wissenschaftsgeschichte sowie koloniale Kontinuitäten in Forschung und Lehre, insbesondere auch im Hinblick auf Internationale Forschung
– Strukturelle Verankerung von kolonialismus- und rassismuskritischen Elementen in Lehre & Studium
– Verpflichtende Sensibilisierung von Lehrenden und Universitätsmitarbeitenden zu Rassismus und anderen Diskriminierungsformen und Machtverhältnissen sowie zum Diskriminierungsschutz nach AGG
– Grundlegende finanzielle Unterstützung für die koloniale Aufarbeitung und rassismuskritische Weiterentwicklung durch verschiedene Statusgruppen der Universität
– Weiterführung der Antidiskriminierungsberatung für Studierende mit Fokus auf von Rassismus betroffene Studierende mit entsprechender (z.B. psychologischen) Qualifikation, wie zum Beispiel durch das BIPoC-Kollektiv in der Veranstaltung „Die Vergangenheit in der Gegenwart – Post/Kolonialismus in der Lehre“ gefordert.

Über eine baldige Antwort würden wir uns freuen.

Mit freundlichen Grüßen
Göttingen Postkolonial